Sekundäre Pflanzenstoffe – von der Pflanze zum Wirkort

Sekundäre Pflanzenstoffe (SPS) sind primär nicht für den Menschen gemacht. Sie schützen Pflanzen als antinutritive Stoffe vor Fressfeinden oder vor anderen Einflussfaktoren wie UV-Licht und Oxidation. Als Aromen oder intensive Farbstoffe können sie für andere Lebewesen abstoßend oder attraktiv wirken und bedienen damit eine ökologische Funktion.

SPS haben im Gegensatz zu den primären Pflanzenstoffen für uns keinen Nährwert, sind aber bioaktive Substanzen wie auch Ballaststoffe, Vitamine oder Inhaltsstoffe fermentierter Lebensmittel. Allen gemein ist eine pharmakologische Wirkung, worauf auch die englische Bezeichnung „phytochemicals“ hinweist.

Einteilung, Wirkungen, Aufnahme

Schätzungsweise gibt es über 100.000 sekundäre Pflanzenstoffe – davon sind bis zu 10.000 Verbindungen aus sehr unterschiedlichen Stoffklassen für die menschliche Ernährung relevant. Für den Menschen sind sowohl schädliche oder toxische (z. B. Nikotin, Atropin) als auch gesundheitsförderliche (z. B. Polyphenole) oder aktivierende (z. B. Koffein) Eigenschaften bekannt. Die vielfältigen Effekte der SPS sind in der folgenden Abbildung (nach Watzl) dargestellt.

 

Sekundaere_Pflanzenstoffe_Effekte

 

Wir nehmen bei gemischter Kost ca. 1,5 g SPS pro Tag zu uns. Einen Anspruch, möglichst hohe Gehalte an den Substanzen mit gleichzeitig hoher Bioverfügbarkeit zu gewährleisten, ist nicht ganz leicht zu realisieren. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Wirkung auf dem Weg von der Pflanze zum Wirkort in unserem Körper. Aufgrund der Vielfalt der SPS und ihrer unterschiedlichen chemischen Eigenschaften gibt es keine goldene Regel, um die Bioverfügbarkeit (Aufnahmekapazität unseres Körpers) zu optimieren.

Ein aktuelles Forschungsprojekt am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) zu Glukosinolaten aus Kohlgewächsen zeigt, wie komplex und unterschiedlich die Verfügbarkeit einzelner sekundärer Pflanzenstoffe ist und wie stark diese von der Art der Zubereitung abhängt.

Brokkoli, Weißkohl, Rotkraut und Pak Choi enthalten Glukosinolate, die entweder durch die Darmmikrobiota oder vorher bei der Zerkleinerung durch die Freisetzung des Enzyms Myrosinase zu Isothiocyanaten oder Nitrilen abgebaut werden. Isothiocyanate sind die scharf schmeckenden gesundheitsfördernden Verbindungen dieser Gemüse. Nitrile haben im Gegensatz dazu kaum eine gesundheitsfördernde Wirkung.

Roh entstehen in Kohl oft vor allem Nitrile anstelle der Isothiocyanate, da viele Kohlsorten weitere Enzyme besitzen, welche die Bildung von Isothiocyanaten zugunsten der Nitrile unterdrücken. Da diese Enzyme sehr temperaturempfindlich sind, kann durch sehr kurzzeitiges Erhitzen die Bildung von Isothiocyanaten – und damit der gesundheitliche Nutzen des Gemüses – erhöht werden. Dabei sollte im Gemüse allerdings die Temperatur von 60 Grad nicht überschritten werden. Zudem empfiehlt es sich, das Kochwasser einfach mitzuverwenden: Ein Großteil der Glukosinolate geht beim Kochen ins Kochwasser über, da diese wie viele andere wichtige Inhaltsstoffe wasserlöslich sind. So bleiben mehr Glukosinolate bei einer kürzeren Kochzeit im Kohl erhalten. Bei einer längeren Kochzeit von mehr als 10 bis 15 Minuten werden Glukosinolate (chemisch) abgebaut. Es gibt allerdings auch Brassicaceae-Gemüse, bei denen durch die Zellzerstörung beim Kauen hauptsächlich gesundheitsfördernde Isothiocyanate entstehen: z. B. Radieschen und Rucola– sie können einfach roh verzehrt werden.

Bewusste Auswahl von pflanzlichen Lebensmitteln

Vieles können wir also schon im Vorfeld durch eine bewusste Auswahl der Pflanzenkost beeinflussen.

Reifegrad

  • optimalen Reifegrad wählen: sonnengereift – nicht im Treibhaus
  • der natürliche UV-Lichtanteil erhöht die Schutzstoffe in/unter den Schalen
  • daher auch Kräuter vor die Fensterscheibe stellen


Wildformen/ alte Sorten

  • Wildformen und alte Sorten wählen, die haben in der Regel höhere Gehalte.
  • Brokkoli-Sprossen haben 10 bis 100-fach höheren Gehalt an Glukosinolaten als das „erwachsene“ Gemüse.


Vertreter

  • gezielte Auswahl der Vertreter mit dem höchsten Gehalt bestimmter SPS:
  • Carotinoide: Spinat, Tomatenpüree
  • Glukosinolate: Gartenkresse
  • Flavonoide: schwarze Johannisbeeren (viel mehr als im oft zitieren Rotwein)
  • Phenolsäuren: Weizenkleie
  • Phytoöstrogene: Leinsaat


Mit Kernen

  • Weintrauben mit Kernen auswählen
    • Die Samenkerne sind aufgrund des hohen Gehaltes an SPS wie oligomeren Proanthocyanidinen (OPC) optimal vor dem Verderb geschützt.
    • Ab und zu die Kerne zerkauen – dann steigt die Bioverfügbarkeit.
    • Bitter schmeckende Inhaltsstoffe sind oft die Gesundheitsförderer.
    • Wozu Traubenkernmehl extra kaufen und als Zutat verwenden, wenn die Kerne mitgeliefert werden?
  • Himbeerkonfitüre mit Kernen wählen – denn 90 % der SPS stecken hier in den Kernen (z. B. das Polyphenol Ellagsäure)


Mit Schale/ Gehäuse

  • Schalen / Zesten von pestizidfreien Zitrusfrüchten verzehren – die enthalten als SPS Monoterpene.
  • Achtung: Inhaltsstoffe von Zitrusfrüchten können den Metabolismus von verschiedenen Medikamenten beeinflussen.
  • Äpfel mit Schale (enthält z. B. das Polyphenol Quercetin) und Gehäuse verzehren (wenn es noch intakt ist)


Kombinieren

  • Gelbwurz (Curcumin!) mit schwarzem Pfeffer kombinieren.
  • Das enthaltene Piperin erhöht die Bioverfügbarkeit von Curcumin (Currymischungen enthalten traditionell schwarzen Pfeffer!).


Kurze Lagerzeiten

  • möglichst kurze Lagerzeit: Äpfel verlieren über 50 % der Phenolsäuren / Flavonoide über den Winter


Geringer Verarbeitungsgrad

  • möglichst geringer Verarbeitungsgrad: z. B. Polyphenolgehalt von Äpfeln mit Schale > naturtrüber Apfelsaft > klarer Apfelsaft


Mit Öl zubereiten

  • Karotten am besten mit Öl erhitzen, dann steigt die Bioverfügbarkeit von Beta-Carotin stark an.


Weitere Faktoren

  • intakte intestinale Mikrobiota (Darmflora) trägt z. B. zur Aktivierung der Phytoöstrogene bei und optimiert die Wasserlöslichkeit und Aufnahme von Polyphenolen wie Quercetin
  • umgekehrt beeinflussen die verzehrten SPS im Darm die Mikrobiota positiv
  • Lebensmittel-Matrix verstärkt die Absorption der SPS
  • Komplexbildner wie Eisen oder Zink können die Absorption dagegen hemmen

Isolierte oder angereicherte SPS können aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren nicht die gleiche Wirkung entfalten, wie die SPS in einer natürlichen Lebensmittel-Matrix, wo die Kombination von Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen eine multimodale Wirkung entfalten

Aktuell finden sekundäre Pflanzenstoffe verstärkt Beachtung im Hinblick auf die Wirkung im Gehirn – auf die kognitiven Fähigkeiten und eine mögliche Verzögerung von neurodegenerativen Erkrankungen (Demenz) durch eine schützende Wirkung als Radikalfänger oder Antioxidanz. Nur wenige SPS oder deren Metabolite können die Blut-Hirn-Schranke überwinden, wobei über die Transport-Mechanismen nicht viel bekannt ist. Zu den gehirngängigen SPS zählen z. B.

  • OPC=Oligomere Proanthocyanidine (Traubenkerne, Traubenschale)
  • Sulforaphan (Brokkoli)
  • Resveratrol (Trauben)
  • Curcumin (Gelbwurz)
  • Flavonoide (Kakao, Beeren, Tee)

Resümee

Die Welt der SPS ist komplex und es besteht noch viel Forschungsbedarf bzgl. Metabolismus und pharmakologischer Wirkung. Spannend sind auch die regulatorischen Effekte, beispielsweise der positive Einfluss auf Kognition, Blutdruck, Redox-Systeme, Blutfette, Entzündungsprozesse etc.

Um die gesundheitsfördernde Wirkung der SPS verstärkt zu nutzen, gibt es keine goldene Regel. Bei ganzheitlicher Betrachtung kann aber auf bewährte Ernährungsempfehlungen verwiesen werden:

  • viel farbenfrohe Abwechslung bei der verzehrten saisonalen Pflanzenkost
  • bewusst auswählen
  • mal roh mal schonend gegart verzehren
  • auf einen guten Mix der Lebensmittel-Matrix achten und somit auch die Mikrobiotika fördern

SPS und Mikrobiotika haben eine wechselseitige Interaktion – hierzu wird es sicherlich in der nahen Zukunft neue Erkenntnisse geben. Die jetzt anstehende Advents- und Weihnachtszeit ermöglicht uns die Aufnahme von bestimmten SPS aus wohlduftenden Gewürzen wie Kardamom, Zimt, Vanille, Sternanis, Nelken etc. – haben Sie eine genüssliche und stimmungsvolle Zeit!

                         

                                                                        *Mit freundlicher Erlaubnis der Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET) e.V. 
                                                                                                                                 >>> Gastbeitrag von: Dr. Dieter Möller

 

Literaturquellen

  • Jana Maria Knies: Sekundäre Pflanzenstoffe Teil 1 und Teil 2 . ErnährungsUmschau 4+9/2019
  • DGE: Sekundäre Pflanzenstoffe und ihre Wirkung auf die Gesundheit (Link)
  • The Reciprocal Interactions between Polyphenols and Gut Microbiota and Effects on Bioaccessibility 
  • Das Kräuter-ABC: 20 Kräuter, die man unbedingt kennen sollte 
  • Kapuzinerkresse: Senföl könnte entgiftend wirken
  • Enzymatische und nicht-enzymatische Abbaureaktionen im Verlauf der thermischen Behandlung von Glucosinolaten und Folgeprodukten 
  • Bernhard Watzl: Fundort Pflanzenzelle. Aktuel Ernahrungsmed 2011;36, Supplement 1:S2-S5
  • Polyphenols From Grape and Blueberry Improve Episodic Memory in Healthy Elderly with Lower Level of Memory Performance 
  • Geistig fit durch mediterrane Kost? Wie Menschen gesünder alt werden können 
  • Claus Leitzmann, Kathi Dittrich: Bioaktive Substanzen – Pflanzenpower für das Immunsystem (2003)
  • Bettina Irmler, Georg Wolz: Darm und sekundäre Pflanzenstoffe (2016)
  • Hans Konrad Biesalski, Peter Grimm, Susanne Nowitzki-Grimm: Taschenatlas Ernährung (2012)
  • Sabine Paul: Gehirndoping mit Gewürzen: Das Upgrade für Konzentration, Gedächtnis, Stimmung und Stress-Resistenz (2018)

 

Rechtlicher Hinweis:

Dieser Artikel wurde von uns ausschließlich zur Information verfasst und gibt Hinweise zu unterstützenden Maßnahmen, wie sie aktuell in der Medizin diskutiert werden. In jedem Fall sollten alle Maßnahmen mit dem behandelnden Arzt bzw. Therapeuten abgesprochen werden. Ein guter Allgemein- und Ernährungsstatus kann dem Organismus helfen, Erkrankungen vorzubeugen oder diese zu überwinden. Alle zu den Stoffen getroffenen Aussagen beschreiben Eigenschaften und physiologische Wirkungen, die bei Konsumenten natürlicherweise unterschiedlich ausfallen können und stellen keine Heil- oder Gesundheitsversprechen dar.

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