Vor Gericht gilt ein Angeklagter solange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Bei Lebensmitteln ist das mitunter umgekehrt. So reichten einst diffuse Hinweise aus Beobachtungsstudien, um rotes Fleisch als Risikofaktor beispielsweise für Darmkrebs zu stigmatisieren. Viele gesundheitsbewusste Menschen greifen seither lieber zu Geflügelfleisch – zweifelsohne ein Grund für die boomende Massentierhaltung in den Geflügelmastanlagen.
Erst seit einigen Jahren beginnen Wissenschaftler sich die Frage zu stellen, ob das negative Image von Schwein-, Rind- und Wildfleisch gerechtfertigt ist. Tatsächlich sprechen aktuelle Studien und Neubetrachtungen alter Daten Steaks, Filets und Co vom Vorwurf der Krankheitspromotion weitgehend frei. Wissenschaftler sind sich mittlerweile einig: Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs werden bei Liebhabern des roten Fleisches dann häufiger beobachtet, wenn es falsch zubereitet wird.
Schwedische Forscher erhoben beispielsweise die Ernährungsgewohnheiten von fast 75.000 Männern und Frauen. Nach 15 Jahren Beobachtungszeit zeichnete sich auf den ersten Blick ein ähnliches Bild ab: „Wer regelmäßig rotes Fleisch isst, stirbt früher.“ Allerdings traf dies nur zu, wenn es sich vorwiegend um verarbeitete Produkte wie Wurst, Schinken oder Salami handelte. Bezogen die Wissenschaftler nur unverarbeitetes rotes Fleisch wie Filet, Steak oder Hackfleisch in ihre Betrachtung ein, war kein Zusammenhang mit der Lebenserwartung mehr festzustellen [1].
Ähnlich sieht es in einer aktuellen Metanalyse verschiedener Kohortenstudien zum Thema aus. Auch hier ging ein erhöhtes Risiko für eine frühe Sterblichkeit und kardiovaskuläre Erkrankungen im Speziellen in erster Linie von verarbeitetem Fleisch aus [2].
Auch die große internationale EPIC-Studie, die immerhin weit über 400.000 Teilnehmer umfasst, konnte lediglich verarbeitete Fleischprodukte als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs und andere verbreitete Todesursachen bestätigen. Die Mitschuld von rotem Fleisch an einem verfrühten Tod war nach Korrektur einiger Messungenauigkeiten nicht mehr signifikant [3].
Leider ist es in diesem Fall bei Lebensmitteln wie bei einem fälschlich Beschuldigten: Ist der Ruf erst einmal angekratzt, lässt er sich auch mit zahlreichen Unschuldsbeweisen nur schwer aus den Köpfen der Menschen tilgen. So wird rotem Fleisch in der Fach- und Laienpresse wohl auch weiterhin noch des Öfteren der Stempel „Risikofaktor“ aufgedrückt.
Quellen:
Bellavia A et al.: Differences in survival associated with processed and with nonprocessed red meat consumption. Am J Clin Nutr; 100(3):924-9: 2014 [Abstract]
Abete I et al.: Association between total, processed, red and white meat consumption and all-cause, CVD and IHD mortality: a meta-analysis of cohort studies. Br J Nutr; 112(5):762-75: 2014 [Abstract]
Rohrmann S et al.: Meat consumption and mortality--results from the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. BMC Med 11:63: 2013 [Abstract]
* Mit freundlicher Erlaubnis übernommen aus dem FET-Mitgliedernewsletter September 2014 > Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET) e.V. www.fet-ev.eu
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