Gluten: potenziell darmschädigend, aber nicht per se

Der Brotinhaltsstoff Gluten ist ein in der Öffentlichkeit äußerst kontrovers diskutiertes Thema. In immer mehr Ernährungskonzepten wird eine generell glutenarme bis -freie Kost empfohlen – zur Freude der „Frei von“-Industrie und zum Ärgernis kompetenter Ernährungstherapeuten. Denn ganz so einfach ist es dann eben doch nicht.

Gluten – ein wichtiger Brotbestandteil

Im Getreide liegt Gluten nicht als ganzer Bestandteil, sondern in Form einzelner Komponenten vor. Beim Weizen handelt es sich um die Komponenten Gliadin und Glutenin, die sich erst in Anwesenheit von Feuchtigkeit zu Gluten verbinden. Als solches entfaltet Gluten seine Backeigenschaften: es verleiht dem Brotteig Elastizität, so dass sich dieser beim Backen ausdehnen kann.

Gluten ist nicht gleich Gluten

Gluten ist ein Sammelbegriff für verschiedene in Getreide vorkommende Eiweiße. So werden die Eiweiße im Weizen Gliadin und Glutenin genannt. Im Roggen heißen die Substanzen Secalin und Secalinin, im Hafer Avenin und Avenalin in der Gerste Hordein und Hordenin. Je nach Züchtung und Sorte unterliegen die Glutengehalte in den Getreiden starken unterschiedlichen Schwankungen, die zudem noch abhängig von der Anbauregion und den Anbaubedingungen sind.

Die Argumentation, dass der besonders anspruchslose Weizen, der heute weltweit am meisten angebaut wird, besonders hohe Glutengehalte aufweist, ist umstritten. Nicht aber das Gluten selbst, sondern nur bestimmte Komponenten wie das Gliadin und andere im Weizen vorkommende Eiweiße können für den Menschen problematisch werden. Demnach ist zumindest denkbar, dass der moderne Weizen dennoch mehr Beschwerden verursacht als alte Sorten.

Zöliakie, Weizenallergien und Gluten-/ Weizensensitivität – ein großer Unterschied

Zöliakie ist eine echte Glutenunverträglichkeit, die eine lebenslange glutenfreie Diät erfordert. Bereits kleinste Mengen Gluten lösen Beschwerden aus. Bei Nichteinhalten der Diät führt der Glutenverzehr auf lange Sicht zu schweren Störungen. Etwa 1-2% der Bevölkerung sind betroffen.

Die Weizenallergie wiederum ist eine echte Allergie. Diese tritt bei ca. 0,1% der Bevölkerung auf – und hier besonders gehäuft bei Bäckern. Die Weizenallergie geht mit allergie-typischen Symptomen wie Haut- und Schleimhautreaktionen (Jucken, triefende Nase, etc.) einher und kann in schweren Fällen bis zum anaphylaktischen Schock führen. 

Die Gluten-/Weizensensitivität hingegen beruht vermutlich nicht oder nicht ausschließlich auf der Unverträglichkeit gegenüber Gluten. Es könnten weitere Eiweiße, wie die im modernen Hochleistungsweizen gebildeten ATI-Eiweiße, ursächlich sein. Oftmals wurde diese Form der Unverträglichkeit fälschlicherweise als Reizdarmsyndrom diagnostiziert. Mittlerweile aber sehen immer mehr Wissenschaftler die Ursache in den Weizeneiweißen begründet. Die Symptomatik ähnelt den Symptomen, die durch Lektine verursacht werden. Das Weißeneiweiß Gliadin erhöht die Freisetzung von Zonulin. Zonulin wiederum erhöht die Durchlässigkeit der Darmwand. Es treten vermehrt Substanzen durch die Darmwand und locken Immunzellen an. Auf lange Sicht können Autoimmunreaktionen ausgelöst werden. In der Folge können Kopfschmerzen, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden und Muskel- sowie Gelenkbeschwerden auftreten. Vermutlich sind 5% der Bevölkerung in Deutschland betroffen. Gliadin selbst löst zudem Entzündungsreaktionen aus. Bei bestimmten Erkrankungsbildern wie Multiple Sklerose, Schuppenflechte oder Rheumatoide Arthritis wird aufgrund des Entzündungsgeschehens Gluten als potenzieller Mitauslöser oder Trigger zunehmend in der Therapie berücksichtigt.

Manchmal aber liegt eine Primärerkrankung der Unverträglichkeit gegenüber Weizen oder Gluten zugrunde. So können Laktoseintoleranz, Fruktosemalabsorption, Reizdarmsyndrom und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen die Weizen- und Glutenverträglichkeit empfindlich stören. Auch die Einnahme von Medikamenten wie Antibiotika kann ein Auslöser sein. Generell ist das Risiko einer (vorübergehenden) Unverträglichkeit von Weizen und Gluten bei Darmerkrankungen erhöht.

Modernes Backhandwerk provoziert Unverträglichkeit von Getreide zusätzlich

Wer nicht an einer manifesten Zöliakie leidet, muss nicht lebenslang auf Gluten verzichten, auch wenn Brot scheinbar nicht gut vertragen wird. Oftmals sorgen die schnell und mit Triebmittel gebackenen Vollkornbrote für Beschwerden, ohne dass dies auf das enthaltene Gluten zurückzuführen wäre. Zum einen sorgt die verkürzte Backzeit dafür, dass reizende Stoffe nicht ausreichend deaktiviert werden. Zum anderen enthält das volle Korn im Gegensatz zum geschälten Korn noch alle Substanzen, die als Fraßschutz von der Getreidepflanze gebildet werden. Kommen beide Tatsachen zusammen – volles Korn und wenig Backzeit – sind die Darmbeschwerden vorprogrammiert.

Abhilfe schaffen hier nur traditionelle Zubereitungsmethoden von Getreiden und Getreideprodukten, die die Verträglichkeit deutlich verbessern können. So trägt beim Roggen die Sauerteigführung dazu bei, dass die für den Darm problematischen Substanzen inaktiviert werden. Ein guter Sauerteig braucht aber mindestens 48 Stunden – Zeit, die heute nicht mehr zur Verfügung steht. Weitere Techniken sind das Wässern und Keimen, was sich auch bei Hülsenfrüchten bewährt.

Empfehlungen für die Praxis

Kritiker behaupten gern, dass der Verzicht auf Gluten zu einem Mangel an Ballaststoffen und Vitaminen führt. Das aber ist bei einer abwechslungsreichen Ernährung Quatsch. Ballaststoffe kommen in ausreichenden Mengen in Gemüse, Obst, Nüssen und Pilzen vor. Und auch die B-Vitamine sind ausreichend in anderen Nahrungsmittelgruppen verfügbar. Wer das Gefühl hat, auf Gluten, Weizen oder Brot im Allgemeinen mit Beschwerden zu reagieren oder sich das zumindest fragt, kann einmal zwei Wochen gänzlich auf Gluten verzichten und etwaige Änderungen schriftlich dokumentieren.

Weitere Empfehlungen

  • Verzichten Sie auf Vollkornweizenprodukte.
  • Bevorzugen Sie Roggenbrot auf Sauerteigbasis.
  • Suchen Sie nach Anbietern, die Brot nach traditionellem Handwerk backen.
  • Wässern, Fermentieren und Keimen Sie Getreide sowie Hülsenfrüchte vor dem Verzehr.
  • Bei Darmbeschwerden und chronischen Entzündungsschüben: genereller Verzicht auf glutenhaltige Produkte

 

* Mit freundlicher Erlaubnis übernommen aus dem FET- Mitgliedernewsletter 
> Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET) e.V. www.fet-ev.eu

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